Känguru Charlie lebt in einem Gehege. Zu Sommeranfang war ihm langweilig und er büxte aus. Der Zaun ist zwei Meter hoch. Ist er da darüber gesprungen? ...
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Der Zaun ist zwei Meter hoch. Ist er da darüber gesprungen?
Er ist ja nur einen Meter groß. Oder stand die Tür offen? Charlie war auch in der Zeitung, mit einem Foto von ihm. "Nicht schön, aber lieb", stand darunter. Das hat seine Besitzerin über ihn gesagt. Sie hat eine Lebendfalle für ihn aufgestellt. Mit Karotten darin hat es nicht geklappt, aber bei den Pfirsichen hat sie zugeschnappt. Pfirsiche sind Charlies Lieblingsobst. Jetzt war Charlie wieder zuhause. Endlich!, nach vier Tagen. Aber das ist nur ein Teil der Geschichte. Der andere ist, was Charlie erlebte. Das stand in keiner Zeitung, dafür erzähle ich es hier.
Jetzt war Charlie schon seit vier Stunden in Freiheit unterwegs, woher weiß er, dass es vier Stunden waren?, er hat ja keine Armbanduhr, nein, Kinder, so funktioniert das nicht, Charlie weiß es nicht, aber ich weiß es, der Erzähler, und er war schon müde, aber wenn er sich niederlegte, war da etwas, das er nicht kannte. Das verwirrte ihn, und er hatte auch ein bisschen Angst, das würde Charlie nicht zugeben, aber mir, dem Erzähler, ist es aufgefallen. Jedenfalls: Er konnte nicht schlafen. Immer ging das so. Er hüpfte sogar zu seinem Gehege zurück, aber er konnte nicht hinein, und niemand sah ihn. So hüpfte er wieder davon. Im Wald aß er Beeren, und schließlich fand er doch genug Ruhe, um einschlafen zu können.
Als er wieder aufwachte, stand auch die Sonne auf. Der Himmel wurde zuerst grau und dann heller. Nun war der Tag hier. Es war kalt und Schnee lag. Charlie dachte nicht darüber nach, wie das sein konnte, da ja gestern noch Sommer war. Er dachte überhaupt nichts. Er gähnte, dann rieb er sich die Augen und hüpfte los. In die Richtung, wo Klack-klack-klack-Geräusche und Brummen herkamen. Jetzt war Charlie dort. Da war ein zugefrorener Teich, der vom Schnee befreit war. Auf dem standen zwei kleine Tore, und acht Braunbären spielten Eishockey. Ein Braunbär schoss gerade den Puck auf das gegnerische Tor, der Braunbär-Tormann der anderen Mannschaft wehrte ihn ab. Die Braunbären hatten Schlittschuhe und Eishockeyschläger, auch ein Schiedsrichter war mit dabei, der war ein Mensch, kein Braunbär.
Das machte sich toll für Charlie! Er würde gerne mitspielen. Er hatte noch nie Eishockey gespielt, aber wenn er es einmal probierte, würde es sicherlich gut laufen. Nur natürlich, das war klar, er brauchte eine Schutzausrüstung. Die Braunbären brauchten die nicht, weil sie groß und stark waren. Aber Charlie war klein und schmächtig. Trotzdem: Nach zwei Stunden hatte er alles zusammen, nicht nur Schlittschuhe und Schläger, auch Helm, Brustschutz, Trikot und sogar Thermounterwäsche darunter.
Charlie ging zum Teich. Die Braunbären schauten erstaunt. Sie hörten zu spielen auf. In voller Eishockeymontur stand Charlie vor ihnen. "Hallo, liebe Braunbären, ich würde gerne bei euch mitspielen. Na, darf ich?", fragte er. "Njet", sagte einer der Braunbären. "Aber warum denn nicht?", wollte Charlie wissen. "Weil ich ein schwaches Känguru bin, ist das der Grund?" "Nein, der Grund ist, dass du kein Russe bist", sagte derselbe Braunbär. Jetzt lachten alle, nur Charlie nicht.
Was meint ihr, liebe Kinder? Kann es nicht sein, dass Charlie das nur geträumt hat? Vielleicht hat er die Eishockey spielenden Braunbären einmal in einem Buch über die Sowjetunion gesehen. Sie waren nämlich die Sensation des Moskauer Eiszirkusses gewesen.
(© Johannes Tosin, 1965, österreichischer Maschinenbau-Ingenieur, Schriftsteller, Fotograf)
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